Jürgen. Jemimas Papa.

Mein Kind war sehr individuell und speziell. Sie war tätowiert und hat Piercings gehabt. Jemima hat sich aus Überzeugung tätowieren lassen, obwohl sie eine absolute Spritzenphobie hatte. Die musste beim Arzt von drei bis vier Arzthelferinnen festgehalten werden, wenn Blut abgenommen wurde. Aber tätowieren ging!

Ansonsten war mein Mädchen sozial engagiert, sie hatte ein starkes Rechtsempfinden. Sie hat ein Freiwilliges Soziales Jahr gemacht und letztendlich hat sie dann auch soziale Arbeit studiert.

Beim Japantag in Düsseldorf war sie jedes Mal dabei! Und dann hat ihr Freund sie überrascht: Sie fahren zehn Tage nach Japan – Tokio und Umgebung. Das haben die auch noch gemacht. Das war alles eigentlich in schönen geraden Bahnen. Bis zu dieser Nacht von Samstag auf Sonntag.

Jemima ist ins Krankenhaus gebracht worden, weil sie einfach umgefallen, einfach ohnmächtig geworden ist. Sie hat damals mit ihrem Freund zusammengewohnt. Der hat dann einen Notarzt gerufen und die sind mit ihr in die Klinik gefahren.

Das ist aber alles in der Nacht passiert. Ich hatte daher nur die Mitteilung, dass Jemima im Krankenhaus ist. Also ich hab mir mal erst gedacht „naja, Krankenhaus eben. Das Kind ist 27 Jahre alt, was soll da passieren?“.

Mann hält sein Smartphone in die Kamera, auf dem das Bild seiner verstorbenen Tochter zu sehen ist

Man rechnet mit allem, aber nicht, dass es tödlich endet.

Portraitaufnahme eines Mannes mit weißen Haaren in seinem Wohnzimmer

Es kam bei mir erschwerend dazu, dass ich direkt die Woche drauf nach Sprockhövel fuhr. Ich gebe Seminare und das konnte ich also auch nicht absagen. Der behandelnde Arzt hat mir also am nächsten Tag alles per Telefon erklärt. Es wurde ein Hirnaneurysma – eine Ausbuchtung an einem Blutgefäß im Gehirn – festgestellt. Dadurch kam es zu einem Hirninfarkt.

Auf der Intensivstation, mein Mädchen. Ich hab meine zweite Frau an einer Krebserkrankung verloren. Ich wusste also schon, was das bedeutet, jemanden auf der Intensivstation zu haben. Ich habe mein Seminar trotzdem gegeben. Weil machen konnte ich in der Klinik eh nichts.
Wenn man jetzt gesagt hätte „wir brauchen jetzt ein rechtes Bein von dir“, hätte ich nicht lange überlegen brauchen – da hätte ich gesagt: „Könnt ihr haben“.

Alles hätten sie von mir haben können, aber machen konnte ich nix.

Ich hätte ja auch in Kauf genommen, ein Kind mit Schwerstbehinderung nach Hause zu kriegen – hätte mir auch nichts ausgemacht. Das Schlimmste wäre, das Kind zu beerdigen.

Jemima hatte dann einen zweiten Hirninfarkt. Und ich weiß, als wäre es gestern gewesen…, ich war drüben bei Aldi einkaufen, als der Anruf kam. Das sind zwei Paar Schuhe, ob man nur davon ausgeht oder ob der Anruf dann wirklich kommt: „wir können nichts mehr machen“. Das ist heute auch noch die Situation, bei der es mir schwerfällt, darüber zu sprechen. Also nicht der Verlust, sondern die Situation. Man ist dermaßen gebügelt, hilflos. Ja, das ist das Schlimmste daran.

Jemima und ich hatten relativ dicht vorher den Tod meiner zweiten Ehefrau, also ihrer Mutter, Revue passieren lassen.

Hände halten ein eingerahmtes Kinderfoto

Dabei haben wir auch über Organspende gesprochen. Deshalb wusste ich zum Glück, wie Jemima zu dem Thema steht.

Rückansicht eines Mannes mit weißen Haaren, der auf seinem Balkon sitzt und in die Ferne schaut

Und auch mit ihrem Freund hatte sie damals über Organspende gesprochen. Als uns die Frage gestellt wurde, ob eine Organspende infrage käme, haben ihr Freund und ich deshalb beide sofort bejaht.

Ob man Organspender*in sein möchte, ist eine Entscheidung, die nicht morgen getroffen werden sollte, sondern jetzt. Jetzt muss die getroffen werden. Je eher, desto besser für alle Beteiligten. Wenn du in der Situation bist, dann ist es zu spät.

Deine Liebsten haben dann nicht den Kopf frei für das Thema Organspende. Da musst du dich vorher mit auseinandersetzen.

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