Kristin. Nicos Schwester.

Nico hatte so eine Eigenschaft, dass man nicht wirklich sauer auf ihn sein konnte. Er hat irgendwas gemacht und man wollte eigentlich richtig sauer sein – aber mit seiner Art, mit seinem Charme, mit seinem Lachen … man konnte ihm gar nicht mehr böse sein.

Im Herzen war er wirklich ein guter Mensch. Er war immer sehr darauf bedacht, dass Leute gerecht behandelt werden. Und dass er alle irgendwie auch zufriedenstellt. Und seine verrückten Ideen. Die haben ihn auch ausgemacht.

Man sucht immer ganz viele Gründe, warum das so passiert ist und was alles dazu geführt hat. Aber ich glaube, das waren so viele unterschiedliche Kleinigkeiten, die da halt zu beigetragen haben.

Nico war an einem Mittwochabend mit Freunden unterwegs. Ich war zu der Zeit auch nicht zu Hause. Ich sah dann, dass ich einen Anruf von einer unbekannten Nummer verpasst hatte. Dann kam eine Nachricht von derselben Nummer.

Nahaufnahme eines gerahmten Kinderbildes von einem blonden Geschwisterpaar

Ich solle mich ganz schnell melden und ich solle meiner Mutter Bescheid sagen, dass was passiert wäre.

Mutter und Tochter sprechen auf dem Sofa sitzend liebevoll über einen Verstorbenen

Mama und ich haben telefoniert und Mama hat mir dann erzählt, dass Opa angerufen hat. Nico sei im Krankenhaus. Er habe Drogen konsumiert und war nicht wieder aufgewacht. Man habe Nico zwei Mal reanimieren müssen.

Meine Eltern sind dann zum Krankenhaus gefahren. Ich wollte natürlich auch dahin und bin losgefahren. Das war die stressigste Autofahrt, die ich je hatte. Nico wurde auf der Intensivstation ins künstliche Koma versetzt.

Als Mama und Papa Gespräche mit den Ärzten hatten, hab ich im Warteraum einfach nur gewartet und die Wände angestarrt. Und gehofft, dass irgendwelche guten Neuigkeiten kommen. Weil für mich am Anfang eigentlich gar nicht klar war, dass das nicht gut ausgehen würde. Ich hab zu keinem Zeitpunkt damit gerechnet, dass Nico stirbt. Das war für mich irgendwie gar keine Option.

Für mich hat sich das irgendwie angefühlt wie … wie so ein Alptraum, aus dem man aber aufwacht und dann ist wieder alles gut.

Als Mama mir dann aber erzählte, dass die Ärzte das Thema Organspende angesprochen haben … ich glaube das war so der erste Moment, wo ich verstanden habe „okay, das klingt irgendwie so, als wenn es doch ernster wäre“. Dann war es doch auf einmal Realität, was man vorher noch nicht so glauben wollte.

Die Frau der Deutschen Stiftung Organtransplantation hat mich gut einbezogen. Ich dachte, ich müsste wieder im Warteraum sitzen bleiben und warten. Aber sie meinte dann „nein, komm mit, das geht dich auch was an. Ihr seid eine Familie.“ Und deswegen war ich dann auch bei dem Gespräch zur Entscheidung dabei. Genau während dieses Gespräches stellte man bei Nico offiziell den Hirntod fest.

Wir hatten vorher noch nie über Organspende gesprochen. Ich hab versucht, mich ein bisschen zurückzuhalten und eher Mama und Papa entscheiden zu lassen. Also ich wusste, für mich wär das okay, wenn wir das machen würden. Aber hätte jetzt jemand vehement gesagt, er möchte das nicht, dann wäre das auch okay für mich gewesen. Und für Mama auch, das weiß ich.

Schulterblick auf ein gerahmtes Kinderfoto eines Geschwisterpaares

Dass Nico gestorben ist, war halt absolut sinnlos. Da kann man nichts dran schönreden.

Mutter und Tochter im gemeinsamen Interview

Aber ich hatte das Gefühl, dass es dann vielleicht für andere Leute noch so einen kleinen Sinn ergibt.

Ich finde auch letztendlich geht es gar nicht darum, ob man da jetzt ja oder nein ankreuzt, es gibt kein richtig oder falsch. Es kann jeder nur für sich entscheiden. Aber es sollte halt von jedem selbst entschieden werden. Damit eben im Fall der Fälle die Angehörigen das nicht entscheiden müssen.

Es sollte den Angehörigen nicht diese Last auferlegt werden. Weil die einfach in diesem Moment genug mit der eigenen Trauer beschäftigt sind.

Und sich dann noch mit der Frage auseinandersetzen zu müssen „Was hätte mein geliebter Mensch jetzt gewollt?“

Das ist eine Last, die man den Angehörigen so leicht nehmen kann. Indem man einfach nur so ein kleines Ding ausfüllt.

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